Arbeitsmarktfähigkeit, Komfortzone und bewusstes Atmen

Das Leben, wie wir es bisher kannten, hat sich stark verändert: soziale Distanz, Telearbeit, Lockdowns, eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten und viele andere Faktoren zwingen uns, unsere Komfortzone zu verlassen. Einerseits hat dies zur Folge, dass die Ängste und Befürchtungen bei manchen Menschen zunehmen (lesen Sie dazu den Beitrag zum Begriff des Muts), andererseits lässt uns dies neue Ressourcen entdecken – in uns und bei den andern.

Wenn diese Krise nicht aufgetaucht wäre, hätten wir uns verändert, entwickelt oder wären wir in unserer Komfortzone geblieben? Und wenn die Krise vorbei ist, kehren wir dann in unsere Komfortzone zurück? Selbstverständlich werden die meisten von uns lernen, weiterkommen, diese Chance packen, aber manche werden die gezogenen Lehren vergessen, in ihre Komfortzone zurückkehren und es sich dort gemütlich machen. Sie werden zu einer bloss oberflächlichen Gelassenheit zurückfinden.

Wenn Sie sich umsehen und die vergangenen Jahre Revue passieren lassen, werden Sie feststellen, dass es Menschen aller Alterskategorien gibt, die sich in ihre Komfortzone zurückziehen und darin verbarrikadieren. Sie übersehen das Risiko, das von dieser Zone ausgeht, nämlich ein langsamer Tod.

Lassen Sie mich mit einem bekannten Modell, jenem der Komfort- und Lernzonen, ein Werkzeug geben, mit dem Sie sich dieses Risikos bewusst werden, die Entwicklung aller fördern und die Gefahren der Extreme vermeiden können. Entwicklung kann man sich als bewusstes Leben und Atmen vorstellen.

Im oben abgebildeten Komfort- und Lernzonenmodell finden sich vier Zonen. Im Zentrum befindet sich die blaue Komfortzone. Sie steht für all das, was wir beherrschen, die Situationen, die wir mögen und die uns Vertrauen geben. Hier arbeiten wir, ohne allzu viel überlegen zu müssen, wir sind nicht gestresst.

Jenseits der Komfortzone befindet sich die grüne Lernzone. Jedes Mal, wenn wir etwas Neues lernen, sich uns neue Horizonte eröffnen, befinden wir uns in dieser Zone. Damit ist nicht zwingend die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung vor Ort oder per Videokonferenz gemeint. Wir begeben uns jedes Mal dann in diese Zone, wenn uns ein Ideenaustausch wachsen oder nachdenken lässt, wenn uns etwas anspornt oder herausfordert. Sei es das Gespräch mit einem Kollegen, ein Praktikum, die Lektüre eines Artikels, eine Videokonferenz, die wir uns anschauen, oder eine Auseinandersetzung: Aus all diesen Momenten können wir etwas lernen, weil wir in diese Lernzone geraten.

Im abgebildeten Modell sieht man eine rote Linie, die zwischen Komfort- und Lernzone hin und her wechselt. Sie signalisiert, wie wichtig es ist, seine Komfortzone zu verlassen, etwas zu lernen (hier erweist sich die Selbstreflexion als zentral) und wieder in die Komfortzone zurückzukehren, um das Gelernte anzuwenden und zu testen. Wesentlich für die Entwicklung ist dieser ständige Austausch zwischen Komfort- und Lernzone.

Ich benütze dazu gerne das Bild des bewussten Atmens. Die rote Linie bildet die Atembewegung (Einatmen, Ausatmen) ab, die uns am Leben erhält. Wer zu atmen aufhört, stirbt früher oder später! Zum Vergegenwärtigen dieser Vorstellung denke man an die Apnoetaucher, die ganz spezielle Übungen zum bewussten Atmen machen. Dank diesen Übungen vermögen sie ihr Lungenvolumen zu erhöhen und können erstaunlich lange unter Wasser bleiben: Ihr Lungenvolumen kann sich mehr als verdoppeln, eine unglaubliche Leistung! Ein Apnoetaucher wie Guillaume Néry hat als zweifacher Weltmeister ein Lungenvolumen von 10 Liter, während wir über eine lebensnotwendiges Lungenvolumen von 3,5 bis 4 Liter verfügen. So wie den Apnoetaucher lässt auch uns das Hin und Her zwischen Komfort- und Lernzone nicht bloss weiterkommen und «am Leben» bleiben, sondern auch unsere eigene Komfortzone ausdehnen. Dabei gewinnen wir an Beherrschung.

In meinen Weiterbildungen setze ich oft einen Kreisel ein, um zu zeigen, dass man in Bewegung bleiben muss, um das Gleichgewicht zu behalten und «am Leben zu bleiben».

Zitat:
«Sich entwickeln, konkurrenzfähig bleiben bedeutet, immer in Bewegung zu sein.»

David Fiorucci

Doch zurück zum Modell: Die rote Linie kann über die Lernzone hinaus auch einmal in die dritte Zone schiessen, deren erste Hälfte orangefarben ist. Hier befinden wir uns in der Panikzone.

Es liegt auf der Hand, dass bestimmte Situationen oder Ereignisse uns direkt in die Panikzone katapultieren. An sich ist diese Zone nicht zwingend schlecht. Solange wir nicht allzu lange darin verweilen, sondern in die Lern- und dann in die Komfortzone zurückfinden, wirkt die Panikzone wie ein «Schock», der uns nicht selten ermöglicht, schneller und gründlicher voranzukommen. Wenn wir uns in dieser Panikzone befinden, ist es oft wichtig, jemanden zu haben, der uns unterstützt und uns hilft, in die Lern- und in die Komfortzone zurückzugelangen, etwa ein Vorgesetzter, ein Coach, ein Freund, ein Kollege, ein Familienmitglied. Die Gefahr, allzu lange in der Panikzone zu verharren, ist durchaus vorhanden. Ich habe das erlebt und es geschieht immer wieder. Unlängst hat mir ein Kaderangestellter der Informatikabteilung eines Schweizer Grossunternehmens gesagt, er befinde sich seit 15 Monaten in dieser Panikzone. Dann muss man unbedingt auf die Zeichen des Körpers Acht geben. Früher oder später sind nämlich alle Reserven aufgebraucht.

Anmerkung: Interessanterweise sind bei gleicher Arbeitsbelastung manche Leute in der Komfortzone, andere in der Lernzone und noch andere schon in der Panikzone. Wir haben nicht alle dieselben Ressourcen, manche Menschen bewältigen viel mehr als andere, ohne den Eindruck zu vermitteln, sie seien überfordert, während andere sehr rasch in Panik geraten. Vergleichen bringt hier nichts, man muss vielmehr jede Person für sich allein mit ihrer Geschichte, ihren Ressourcen und ihren Möglichkeiten betrachten. Also: nicht vergleichen!

Wenn wir nun, wie im Modell illustriert, allzu lange in der Panikzone verharren, riskieren wir, in den roten Randbereich der Zone zu kommen, die Todeszone. In dieser Zone sagt der Körper auf einmal: STOPP! Burnout, Herzinfarkt, Hirnschlag oder andere gesundheitliche oder psychologische Probleme stellen sich dann ein. In diesem Stadium gehören alle zu den Verlierern: die betroffene Person, das Unternehmen, die Kolleginnen und Kollegen, der oder die Vorgesetzte, die Familie usw. Entscheidend ist, die Anzeichen wahrzunehmen und zu handeln. Ist man erst einmal in dieser Zone, ist vom Tod die Rede, und zwar von einem raschen Tod!

Die Schlüsselbotschaft des Modells ist jedoch eine andere: Wenn ich in der Komfortzone verharre und mich nicht hinauswage, bedeutet das ebenfalls den Tod, und zwar einen langsamen Tod!

Das grösste Risiko abgesehen vom Bore-out (dem Gegenteil von Burn-out) ist, dass meine
Arbeitsmarktfähigkeit sinkt oder gar vernachlässigbar wird. Die Welt entwickelt sich weiter, Kundschaft und Konsumenten entwickeln sich, das Unternehmen, die Kollegen, die Technologien entwickeln sich – und ich bleibe in der Komfortzone? Der Zeitpunkt, in dem es zu spät ist, kommt schneller, als man denkt. Auch hier gilt es, rasch zu handeln!

Interessant ist, dass die Verantwortung für meine Arbeitsmarktfähigkeit bei mir selbst liegt. Ich bin für meine Arbeitsmarktfähigkeit verantwortlich, weder die andern noch die Firma. Selbstverständlich fördern und ermöglichen gute Vorgesetzte und gute Firmen die Entwicklung der Mitarbeitenden und ermuntern sie dazu. Sie schaffen also den Rahmen, in dem Entwicklung möglich ist. Aber damit diese tatsächlich geschieht, muss der Mitarbeiter sie wollen, sich dazu fähig fühlen und das Recht auf Entwicklung haben.

Zum Schluss dieses Beitrags empfehle ich Ihnen als halbjährliche Übung, das Vier-Zonen-Schema auszudrucken und allein oder zusammen mit Ihrem Vorgesetzten bzw. Ihren Untergebenen ein paar Fragen zu bedenken:

  • In welcher Zone befinde ich mich zurzeit (wenn ich die zwei oder drei letzten Wochen Revue passieren lasse)?
  • Wann befand ich mich im letzten halben Jahr in der Lernzone?
  • Was habe ich gelernt und vor allem angewendet, das heisst in die Komfortzone transferiert?
  • Wann habe ich die Grenze zur Panikzone überschritten? Wer oder was hat mich so weit gebracht?
    Wie habe ich es geschafft, wieder herauszukommen? Oder wer hat mir dabei geholfen, wieder herauszukommen?
  • Welche wichtigste Lehre habe ich daraus gezogen? Wer könnte davon profitieren?

Ich wünsche mir, dass Sie bewusst atmen, in Bewegung bleiben und sich gesund weiterentwickeln.

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