Bewusste Leadership

Wir sind mitten in einem Prozess, den man als vierte oder fünfte industrielle Revolution bezeichnet. 2016 konfrontierte uns der Gründer des World Economic Forum (WEF) Klaus Schwab in seinem Buch «Die vierte industrielle Revolution» mit unserer Verantwortung als Leader. Auf den Ebenen von Technologie, Umwelt und Gesellschaft finden gerade enorme Umwälzungen statt. Ebenfalls 2016 drehte Gilles Vernet den Film «Tout s’accélère» (Alles beschleunigt sich). Dessen Bilder haben seither vielen Menschen Eindruck gemacht. Bereits 2014 hatte Janice Marturano ihr Buch «Finding a space to lead» geschrieben und noch ein wenig früher hat der deutsche Soziologe Hartmut Rosa in der Revue «Le Genre humain» (2010/1, Nr. 49, Seiten 105–113) einen Artikel zum Begriff der Beschleunigung geschrieben. Und jüngst hat die junge schwedische Aktivistin Greta Thunberg die UN-Klimakonferenz in Katowice 2018 (COP24) geprägt und eine starke Bewegung unter den Jugendlichen in Gang gesetzt.
Tatsächlich, alles beschleunigt sich. Wenn wir überleben und künftigen Generationen das Überleben ermöglichen wollen, muss die nächste Beschleunigung unser Bewusstsein erfassen, das menschliche Bewusstsein.

Als Leader haben wir eine wichtige Rolle zu spielen und müssen eine bewusste Leadership entwickeln.

Konzepte wie Achtsamkeit oder bewusste Leadership haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Vorhanden waren sie allerdings immer schon; beispielsweise bezogen auf die Wirkung des Leaders (siehe den Artikel: «Warum erzielen wir nicht die erwartete Wirkung») oder bei der Betonung der Selbstreflexion (Kern der 9 Dimensionen von LP3: siehe dazu das Video unter www.lp3leadership.com). Ein guter Leader muss sich selbst kennen und sich selbst führen, um andere führen zu können.

In der Folge greife ich bestimmte Elemente im Zusammenhang mit bewusster Leadership (Zusammenfassung verschiedener Artikel sowie im Internet publizierter Ansätze) auf und stelle den Bezug zu meiner Praxis her. Alle meine vorhergehenden Beiträge bieten Ergänzungen und Tools zu den unten ausgeführten Punkten. Den entsprechenden Beitrag erwähne ich nicht überall, um Wiederholungen zu vermeiden. Am Ende dieses Beitrags aber verweise ich auf eine einfache Methode zur Förderung des Bewusstseins im Zusammenhang mit den verschiedenen Dimensionen der Leadership. Es geht hier um die Übung «LP3 Power».

Zur Erinnerung hier zunächst meine Definition von Leadership:

  1. Fähigkeit, eine Bewegung zu erzeugen («Momentum»), Menschen auf ein gemeinsames Ziel oder eine attraktive Vision hin in Bewegung zu setzen mittels eines anregenden, schöpferischen und inspirierenden Rahmens.
  2. Legitime Macht.

Bewusste Leadership setzt Bewusstsein seiner selbst und der eigenen Wirkung voraus. Viele Leader sind aus lauter Intuition hervorragend. Erfassen sie auch noch die Hebel und Interaktionen (systemischer Ansatz), beherrschen sie ihre Wirkung besser, können Kollateralschäden reduzieren und gleichzeitig die treibenden Kräfte verstärken.

Denn bewusste Leadership beinhaltet auch eine ethische und wohlwollende Dimension. Am Anfang meines Buchs «LEADER für eine nachhaltige Wirtschaft» schreibe ich: «Kann eine Einzelperson dazu beitragen, dass die Welt besser wird? Können Sie zu einer besseren Welt beitragen? Haben Sie sich diese Frage schon gestellt? Mich beschäftigt sie seit Jahren, und wenn ich meine Kinder, unsere Welt und unsere Wirtschaft betrachte, komme ich zum Schluss, dass ich nicht nur dazu beitragen kann, sondern dazu beitragen muss.»

Selbstreflexion
Im Zentrum aller Leadership befindet sich die Dimension der Selbstreflexion. Sind Sie sich Ihrer persönlichen Werte bewusst, haben Sie sie priorisiert, erläutert und Ihren Mitarbeitenden, Kollegen, Freunden oder Ihrer Familie kommuniziert?
Bezogen auf die Selbstreflexion stelle ich den Führungsleuten, aber auch den Mitarbeitenden systematisch diese drei Fragen:

  1. Kenne ich meine (kognitiven, physischen, psychologischen) Grenzen?
  2. Höre ich auf mich (und auf meinen Körper)?
  3. Schätze ich mich so, wie ich bin?

Ein guter, bewusster Leader besitzt eine gewisse Bescheidenheit. Er ist im Wissen um seine Stärken und mit seiner kraftvollen Vision bescheiden. Letztlich kombiniert er Bescheidenheit mit einer Art positivem Narzissmus. Er ist wohlwollend, lässt aber Gefälligkeiten sein. Er versteht es, zu danken und sich zu entschuldigen, kennt seine Stärken und seine Schwächen. Adam Grant hat dieses Paradox, dieses Gleichgewicht dargelegt: («Tapping into the power of humble narcissism», 14. Mai 2018).
Er führt dies so aus:
«Humble narcissists bring the best of both worlds: they have bold visions, but they’re also willing to acknowledge their weaknesses and learn from their mistakes.»
Dieses Selbstbewusstsein, diese innere Kraft vermitteln Vertrauen und schaffen zusammen mit der Bescheidenheit psychologische Sicherheit.

Selbstreflexion führt zu einer anderen Kompetenz bewusster Leadership, dem systematischen und systemischen Lernen. Die Prinzipien des lernenden Unternehmens (Chris Argyris) und der verschiedenen Lernschleifen sind der Schlüssel zur Erkenntnis. Feedbacks und Debriefings zu zweit oder in der Gruppe ermöglichen es, sich neuer Elemente oder anderer Sichtweisen bewusst zu werden und so nach und nach unsere Intuition zu schärfen.

Im Zug der Selbstreflexion merkt ein bewusster Leader auch, wann er neue Kraft schöpfen muss. Er ist imstand, sein Gleichgewicht zwischen Einsatz/Leistung und Energie/Ruhe/Kraftquellen zu finden. Und dies nicht nur für sich, sondern auch für die andern. Weil er ein offenes Ohr für die andern hat (Empathie) und präsent ist, verfügt er quasi über «Antennen» und vermag über aufrichtiges Interesse, Nachfragen (er weiss Fragen zu stellen) und Beobachten der andern diese zu begleiten und sie zu vervollkommnen. Wir fühlen uns an seiner Seite gut, sicher und stark, wertgeschätzt. Wir setzen uns ein!

Um Kraft zu schöpfen und sich zu konzentrieren, ist der bewusste Leader zu Momenten der Ruhe und Achtsamkeit fähig, in denen er sich und seinem Umfeld gegenüber präsent ist. Kurze Meditationen und Atemübungen helfen ihm dabei.

Zusammengefasst (siehe dazu die verschiedenen früheren Beiträge) verfügt der bewusste Leader über eine kraftvolle Vision (er vermittelt Sinn und tut der Gesellschaft Gutes). Er bindet ein (berücksichtigt die Ansichten der andern: Mitarbeitende, Partner, Kunden), ist präsent (zeigt Interesse), engagiert sich (ohne das Gleichgewicht seiner Ressourcen aus den Augen zu verlieren), verfügt zugleich über Bescheidenheit und innere Kraft, ist also ein bescheidener Narziss. Er versteht es, aus den andern das Beste herauszuholen und die Autonomie jedes Einzelnen zu erhöhen. Er versteht es, andere zur Übernahme von Verantwortung zu bewegen, indem er selbst ein Vorbild ist.

LP3 Power (Übung)
Zu den 9 Dimensionen des guten Leaders inklusive der Selbstreflexion in deren Zentrum (siehe das Video, das die 9 Dimensionen veranschaulicht unter www.lp3leadership.com oder im Buch «LEADER für eine nachhaltige Wirtschaft») stellen Sie sich systematisch diese Fragen:

Bewusste Leadership (Wirkung)

  • Woran erkenne ich meine Wirkung und jene meines Teams?
  • Was behindert oder bremst diese Wirkung?
  • Wie kann ich diese Hindernisse vermeiden? (reaktiv)
  • Wie kann ich die Wirkung beeinflussen/verstärken? (proaktiv)

Bewusste Leadership (Motivation)

  • Was ist in diesem Bereich motivierend?
  • Welche positiven Erfahrungen habe ich in diesem Bereich bereits gemacht?
  • Was demotiviert mich?
  • Was demotiviert mein Team?
  • Was kann ich ändern?

Gute Reise zu Ihrer Bewusstwerdung!

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