Um sich mit einem Unternehmen, einer Organisation oder einer Gruppierung identifizieren zu können, muss man ein Zugehörigkeitsgefühl empfinden, gleiche Werte haben und dies für sinnvoll halten, Sinn damit verbinden. Neue Organisationsformen versuchen, dies unter anderem damit zu erreichen, dass sie Strukturen schaffen, mit denen sich die Macht «gleichberechtigter» verteilen, die Entscheidfindung agiler gestalten und, wenn möglich, das Übernehmen von Verantwortung stimulieren lässt. Wie wir in einem meiner früheren Beiträge gesehen haben, geschieht gelegentlich gerade das Gegenteil: Die Betroffenen drücken sich noch mehr davor, Verantwortung zu tragen.
In seinem Buch «Reinventing Organizations» fasst Frédéric Laloux die unterschiedlichen von ihm analysierten Unternehmen nach drei Schlüsselprinzipien zusammen:
- Selbststeuerung bzw. Self-Management
- Fülle bezogen auf das Individuum als Ganzes mit dem Reichtum seiner Einzigartigkeit
- Grundauftrag, der sich weiterentwickelt
Bestimmte Organisationsformen wie Holacracy oder Soziokratie betonen die «Rolle» des Individuums und nicht seine Funktion. Aus diesen Personen und ihren Rollen werden Kreise gebildet und so fort. Darauf gehe ich hier nicht näher ein.
Interessant dabei ist, dass jede Rolle ihren Zweck («purpose»), ihren Grundauftrag definiert. Das, was sie sinnvoll macht, womit sie Sinn verbindet.
Leider wird diese Übungsanlage oft nicht kohärent und konsequent durchgespielt. Definiert wird dann statt durchdachten Grundaufträgen bloss allgemein formulierte Standardaufträge. Die Sache ist nämlich die, dass jede dieser «Rollen» in einem direkten und klaren Zusammenhang mit dem Grundauftrag des Unternehmens stehen sollte, vor allem mit dessen Vision. Oft werden nämlich bereits auf dieser Ebene (Grund-)Auftrag und Vision (die einzuschlagende Richtung) durcheinandergebracht.
Die Frage, die sich jede Einheit/Entität stellen müsste, lautet: «Welches ist mein/unserer Beitrag zur Unternehmensvision?» Von allem Anfang an wäre die Antwort darauf zu formulieren.
Um auf den ersten Satz des vorliegenden Beitrags zurückzukommen: Wie schafft man eine Organisation, die es den Leuten tatsächlich erlaubt, sich zu engagieren, sich als Teil des Ganzen zu verstehen, Verantwortung zu übernehmen und Initiative an den Tag zu legen?
Ich komme hier auf einen Ansatz zurück, der eine einfache, kohärente und konsequente Antwort auf diese Frage bereithält, nämlich das Unternehmen, das aus mehreren Mikro-Unternehmen besteht. Selbstverständlich nicht im Sinn einer jeweils eigenen Rechtsform, aber doch mit den damit verbundenen Prinzipien.
Ich erinnere hier zunächst an einige Elemente des klassischen Mikro-Unternehmens, wie man es in unserem Wirtschaftsgefüge findet. Daran schliessen einige Anhaltspunkte an, die Sie dabei unterstützen, Mikro-Unternehmen in Ihrem Unternehmen zu bilden und sich mit Unternehmern und Unternehmerinnen zu umgeben. Sie können diese übrigens auch als Intrapreneure oder Binnenunternehmer bezeichnen.
Mikro-Unternehmen und aktuelles Wirtschaftsgefüge
Ein Mikro-Unternehmen zeichnet sich durch eine schlanke Struktur, ein vereinfachtes Management und eine wirtschaftliche Tätigkeit auf bescheidenem Niveau aus. In manchen Ländern, etwa Frankreich, taucht der Begriff des Mikro-Unternehmens (micro-entreprise) auf Gesetzesebene und im Steuerwesen auf. Die Schweizer Gesetzgebung kennt keine spezifische Definition des Mikro-Unternehmens. Eine Kategorie kleiner Unternehmen, die auch so genannt werden, besteht allerdings schon und kann als Entsprechung der Mikro-Unternehmen in anderen Ländern betrachtet werden.
Hier einige Hauptmerkmale des Mikro-Unternehmens:
- Geringe Grösse: Was ein Mikro-Unternehmen ist, bestimmen in der Regel begrenzte Grössenverhältnisse, etwa die Anzahl Mitarbeiter oder der Jahresumsatz.
- Rechtsform: Kleinunternehmen können in der Schweiz unterschiedliche Rechtsformen annehmen: Einzelunternehmen (auch als Einzelfirma bezeichnet), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder Aktiengesellschaft (AG). Die gewählte Rechtsform hängt von den spezifischen Bedürfnissen des Unternehmers und den gesetzlichen Anforderungen ab.
- Wirtschaftliche Tätigkeit auf «bescheidenem» Niveau: Mikro-Unternehmen haben oft eine eingeschränkte wirtschaftliche Tragweite und entsprechend einen bescheidenen Umsatz.
- Vereinfachte administrative und steuerliche Verhältnisse: Mikro-Unternehmen müssen oft bloss erleichterten steuerlichen und administrativen Standards genügen, was ihr Management entlastet. Sie können etwa einer Pauschalbesteuerung unterliegen oder sind von bestimmten Sozialabgaben befreit.
- Eingeschränkte Verantwortung: in vielen Fällen hält sich die Verantwortung der Chefs von Mikro-Unternehmen in Grenzen, sie setzen also höchstens das Vermögen des Unternehmens aufs Spiel, nicht aber ihr Privatvermögen.
Das Mikro-Unternehmen als Teil Ihres Unternehmens
Ist die Vision Ihres Unternehmens erst einmal klar und sind die Werte und vor allem die Führungs- und Verhaltensgrundsätze für die Reise auf dem Weg zur Verwirklichung dieser Vision nicht nur festgehalten, sondern werden tatsächlich vorgelebt und befolgt – dann ist der Moment gekommen, um eine organische Struktur aus Mikro-Unternehmen zu bilden, in der jedes Mikro-Unternehmen die folgenden Aspekte entwickelt und verfolgt:
- Welchen Beitrag zur Unternehmensvision leisten wir? Welchen Grundauftrag und welche Vision haben wir? Und selbstverständlich: Auf welches Hauptziel läuft sie hinaus (das Ziel und seinen Mehrwert angeben)?
- In welchem zeitlichen Rhythmus müssen wir unseren Beitrag überdenken?
- Wer sind die Akteure und welche Erwartungen/Bedürfnisse haben sie?
- Welche Aktivitäten braucht es, um das Ziel zu erreichen?
- Welche Inputs brauchen wir und welches sind unsere Outputs (auch bei den Outputs ist der Mehrwert anzugeben).
- Welche Ressourcen brauchen wir?
- Welchen Spielraum haben wir? Welche Entscheide können wir, welche müssen wir fällen?
- Wie messen wir die Zielerreichung (welches sind die Leistungs-, Fortschritts- und Entwicklungsindikatoren)? Hier ist ein OKR-Ansatz ideal (siehe dazu meinen vorhergehenden Beitrag).
Nicht vergessen, Erfolge und erreichte Zwischenziele anzuerkennen!
Idealerweise wird eine solche «organische» Struktur im Unternehmen sichtbar gemacht, etwa auf einer mit dickem Filz bezogenen Wand, auf der die Mikro-Unternehmen mit ihren Angaben zu den acht erwähnten Punkten aufgeführt und auf der besonders die In- und Outputs mit farbigen Fäden markiert sind, um die dynamischen Beziehungen des lebendigen Organismus zu veranschaulichen. Wie bei Neuronen entstehen die Beziehungen, lösen sich wieder auf und entwickeln sich weiter.
Sie entscheiden, mit welcher Häufigkeit Sie diesen Organismus überdenken wollen, möchten oder müssen und damit zu einem schwungvollen und agilen Unternehmen beitragen.Selbstverständlich gibt es Computerprogramme für solche Darstellungen, aber ich denke, dass in unserer Zeit eine solche im Unternehmen sichtbare Struktur ein Pluspunkt ist, der sowohl den Austausch untereinander als auch das Zugehörigkeitsgefühl befeuert.