Herausforderungen der Unternehmen: digitaler Wandel, Unsicherheiten, Komplexität, Beschleunigung – Antworten und Dilemmas

Wir leben in einer sich ständig weiterentwickelnden Welt und sind tagtäglich konfrontiert mit dem, was im Englischen als «VUCA world» bezeichnet wird, also mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (für volatility, uncertainty, complexity und ambiguity). Wenn statische Organisationsformen und lineares Denken in einem VUCA-Umfeld an ihre Grenzen gelangen, werden systemisches Denken, gemeinsames Lernen, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Innovation umso wichtiger.

Wesentlich ist zunächst, all die «neuen» Theorien und Binsenwahrheiten, die uns manche Analysten oder Experten servieren, nicht allzu wörtlich zu nehmen. Ein kritischer Geist ist da hilfreicher. Dies beginnt schon bei der Abkürzung «VUCA». Am 29. Mai 2017 hat Philippe Silberzahn einen interessanten Artikel publiziert, der eben gerade darauf verweist: «L’organisation et son environnement: le problème avec l’acronyme VUCA» (Organisation und Umfeld: das Problem mit dem Initialwort VUCA).

Aber wie managt man diese Themen einfach, verständlich und kohärent? Wie managen wir uns, unsere Teams, unsere Organisation (Unternehmen, Institution)?

Auch wenn neue Technologien, Informatik und Robotik immer wichtiger werden, bleibt der Mensch mit seinen Beziehungen zentral für jede Organisation und ihre Performance.

Deshalb komme ich seit ein paar Jahren immer wieder auf zwei Behauptungen zurück.

  1. Niemand weiss wirklich, was die Digitalisierung oder, besser gesagt, die digitale Transformation tatsächlich bedeutet oder welche Auswirkungen sie hat.
  2. Nur jene Unternehmen werden einige der wichtigsten Schlüssel zu künftigem Erfolg haben, die die interne und externe Zusammenarbeit ihrer Teams im Griff haben. Sie werden eine bestimmte Kraft nutzen, nämlich den Teamgeist.

Entscheidend ist deshalb, diese Kraft unter den Leadern und innerhalb der Teams zu schaffen, vor allem aber zwischen den Teams und zwischen den Partnern. Dank dieser Kraft aus dem Innern des Unternehmens, aber auch innerhalb einer Region im weitesten Sinn tragen Sie zu einer nachhaltigen Wirtschaft, zu einer besseren Welt bei.

Hier zunächst vier Antworten oder Orientierungsachsen angesichts der aktuellen Herausforderungen.

Antwort 1: Vision/Sinn
In mehreren meiner früheren Beiträge bin ich darauf eingegangen: Wenn man Vertrauen vermitteln will, ist es wesentlich, eine starke, von allen geteilte Vision zu haben, die der Arbeit und den Aktionen der einzelnen Akteure im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel Sinn verleiht. Beziehen Sie Ihre Mitarbeitenden beim Erarbeiten der Vision ein! Ich habe vier Fragen formuliert, die mit Ihrem Team und Ihren Kollegen abgesehen von den klassischen Tools der Managementschulen zu diskutieren sind:

  1. Wer sind unsere Kundinnen und Kunden?
  2. Wie wollen wir von ihnen wahrgenommen werden? Welche Wirkung wollen wir erzielen?
  3. Wie wollen wir als Team zusammenarbeiten? Was ist uns wichtig?
  4. Welche Tendenzen, Entwicklungen, Veränderungen werden unsere Arbeit in den kommenden Jahren
    beeinflussen?

Verfolgen Sie mit grösster Aufmerksamkeit die Trends und Entwicklungen in Ihrem Bereich/Markt. Das klassische Risiko besteht darin, sich mit der Innensicht zufriedenzugeben (In-Out). Versetzen Sie sich in die Rolle Ihrer Kundschaft, nehmen Sie eine externe Perspektive ein oder, noch besser, bitten Sie Ihre Kundinnen und Kunden an Ihren Tisch (Out-In).

Antwort 2: Gemeinsames Verständnis / Klarheit (Transparenz)
Sorgen Sie für eine gemeinsame Sprache, ein allen Ebenen Ihres Unternehmens oder Ihrer Organisation gemeinsames Verständnis. In meinem ersten Beitrag zum Begriff der Wirkung widme ich meine Gedanken dem Verständnis, der Zustimmung, der Kohärenz und der Kongruenz. Wenn Ihre Kollegen, Kaderleute oder Mitarbeitenden nicht verstehen, worum es geht, können sie der Sache nicht zustimmen und werden sich nur ungern dafür engagieren. Vertrauen erwächst aus der Konsequenz, mit der Sie (auf allen Hierarchiestufen) kohärent sind, kongruente Botschaften vermitteln und «geeignete» Tools verwenden.
Lassen Sie sich deshalb auf Transparenz ein. Als Führungstool verwende ich dafür einen Blog.

Antwort 3: Entscheidfindung (Verantwortungsübertragung, Autonomie) / kollektive Intuition Erleichtern Sie die Entscheidfindung in Ihrem Unternehmen, indem Sie tatsächlich delegieren, sich aber zugleich vergewissern, dass die Personen, denen Sie eine Aufgabe delegieren, sowohl die nötigen Kompetenzen als auch den entsprechenden Handlungsspielraum haben. Zusätzliche Überlegungen dazu finden sich in meinen Beiträgen zum Delegieren und zum Teamgeist. In diesem Zusammenhang zentral sind … individuelle Verantwortung und Autonomie.
Dieses Delegieren von «Macht» erlaubt ein rascheres Entscheiden und also eine kürzere Reaktionszeit. Haben die Mitarbeitenden Vertrauen in sich selbst und in ihren Vorgesetzten und erlaubt es ihnen der Rahmen (das System), werden sie es wagen, Entscheide zu treffen (siehe den Beitrag zum Thema Mut).
Eine der Kompetenzen, die es in Bezug auf die Autonomie zu entwickeln gilt, ist die Anpassungsfähigkeit. Hier ist wichtig, dass man etwas Neues lernen will und dazu auch fähig ist.
Über das eigene Entscheiden und Überdenken (Debriefing) im Fall von Misserfolg oder Fehlern gewinnen die Mitarbeitenden Vertrauen und verbessern ihre Intuition. Letztere ist ein wichtiger Hebel in der Entscheidfindung. Wenn Sie also systematisch Reflexionsphasen einbauen und parallel dazu die Zusammenarbeit unter den Teams verstärken, schaffen Sie innerhalb des Unternehmens eine kollektive Intuition, die zu besseren Entscheiden führt.

Antwort 4: Agilität / Einfachheit
Einerseits handelt es sich hier um eine Frage der Haltung als Führungskraft und andererseits als eine des Rahmens, in dem sich die Mitarbeitenden wohl fühlen und in dem Agilität möglich ist (rasch sein ohne Hast). Im Beitrag «Der agile Manager» finden sich mögliche Handlungswege. Zur Förderung der Agilität bilden Sie kleine, flexible Teams (4 bis 7 Personen) mit einer bestimmten Autonomie. Zum Optimieren des individuellen Beitrags ist zu gewährleisten, dass jedes Mitglied des Teams eine klare Rolle und einen fühlbaren Einfluss aufs Ganze hat. Erfolge werden so zum Ergebnis der gemeinsamen Anstrengung, und jeder Einzelne wird stolz auf die von allen gut gemachte Arbeit sein. Wie eine zusammengeschweisste Familie, die sich gegenseitig unterstützt, schaffen Sie damit in Ihrem Unternehmen kollektive Energie- und Kraftquellen. Und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden sich einsetzen.
Überdies werden Sie dank strukturierten Ansätzen zur Zusammenarbeit wie den Scrum-Methoden an Effizienz und Zeit gewinnen. Selbstverständlich ist es auch hier wichtig, an den Kunden zu denken und ihn zu integrieren. Über das «Recht, sich zu irren», also über das Experimentieren vermitteln Sie dem Unternehmen und seinen Teams Schub. Die Verbesserung läuft weiter, Selbstreflexion, Debriefings und Best-practice-Sitzungen bilden den krönenden Abschluss.
Neu ist dies alles nicht. MIT-Professor Chris Argyris spricht seit Langem von lernenden Unternehmen (learning organizations) und vom Prinzip des «double-loop learning» (1977). Zur Ergänzung können Sie auf einen anderen Zugang des letzten Jahrhunderts (1950) zurückgreifen, den Demingkreis (PDCA, plan-do-check-act), der eine ausgezeichnete Grundlage für die kontinuierliche Verbesserung bildet.
Verstärken lässt sich die oben beschriebene Agilität durch einen Vereinfachungsansatz. Setzen Sie Ressourcen ein, um Prozesse, Dienstleistungen und Produkte zu vereinfachen. Umsetzen lässt sich dies mit Methoden wie Lean Management, Kaizen, Toyota, Kata usw. Allerdings müssen Sie den Horizont erweitern. Eine der überzeugendsten Vorgehensweisen dafür wurde von einem Autorentrio entwickelt, Chris Brügger, Michael Hartschen und Jiri Scherer. In ihrem Buch «Simplicity» beschreiben sie fünf Prinzipien und dreizehn Strategien zur Vereinfachung von Prozessen, Produkten und Dienstleistungen. Als Absolvent ihrer Ausbildung und lizenzierter Simplicity-Trainer kann ich Ihnen versichern, dass der von den dreien konzipierte eintägige Workshop Wunder wirkt.

Stellen Sie bezogen auf die Einfachheit das Folgende sicher:

  • Sorgen Sie für eine gemeinsame Sprache auf allen Hierarchiestufen.
  • Integrieren Sie die Klientensicht (Out-In).
  • Verlassen Sie die klassischen Strukturen (out of the box), um auf neue Lösungen zu kommen. Bleiben Sie nicht dem herkömmlichen Rahmen verhaftet. Gehen Sie raus.
  • Vermeiden Sie es, immer mehr zu wollen. Man muss Nein sagen und manche Elemente fallen lassen können.
  • Geben Sie einen Termin vor, an den Sie sich halten und an dem Sie umsetzen, was Sie festgelegt haben. Zögern Sie nicht, HALT zu sagen. Neue Ideen oder Ergänzungen, die nach dem Termin auftauchen, werden auf eine Warteliste für eine nächste Phase gesetzt.

Damit habe ich Ihnen die vier Antworten auf die Fragen skizziert, die von den aktuellen Herausforderungen ausgehen. Ich stelle sie oder zumindest bestimmte Teile dieser Antworten ein paar Dilemmas gegenüber, die zu berücksichtigen sind.

Dilemma 1: Vision vs. Profit
Das Betonen der Vision (mittlere und längere Frist) bedeutet nicht, dass die kurze Frist vernachlässigbar wäre. Performance und solide Ergebnisse sind zentral zur Absicherung der Finanzierung und der Liquidität.

Dilemma 2: Hierarchie vs. Netzwerk
In meinem Beitrag «Leadership: legitime Macht» verweise ich darauf, dass es immer Leader geben wird und dass nichts Schlechtes dabei ist. In Unternehmen braucht es sowohl Leadership als auch individuelle Verantwortung, Autonomie und Zusammenarbeit. Konkrete Handlungswege finden sich in meinem Beitrag zum Thema Teamgeist.

Dilemma 3: Kontrolle vs. Autonomie
Hier geht es um eine Frage des Vertrauens. Kontrolle und Vertrauen sind miteinander verbunden und voneinander abhängig. Das Tool Wertequadrat von Schulz von Thun bildet eine sehr interessante Grundlage zur Analyse des Werts «Vertrauen».
Dafür muss man die positive Entsprechung sowie die Übertreibung dazu finden. Die positive Entsprechung zum «Vertrauen» ist die «Kontrolle». Entscheidend ist, es nicht zu übertreiben. Zu viel Vertrauen führt zu Blauäugigkeit, zu viel Kontrolle zu Repression. Wichtig ist, intelligent mit den beiden Polen zu jonglieren, ohne in eines der Extreme zu fallen.
Innerhalb eines Unternehmens und vor allem für die Kaderleute liegt hier eine der zu bewältigenden Herausforderungen.

Dilemma 4: Datenschutz vs. Transparenz
Privatsphäre und individuelle Daten geniessen selbstverständlich Schutz – im Wissen darum, dass es auch Klarheit und Transparenz braucht. Eine sinnvolle Balance zu finden, ist immer heikel, weil immer jemand bzw. eine Organisation von den zugänglich gemachten Informationen profitieren kann. Einfache Lösungen dazu habe ich keine zu bieten. Meine Philosophie in diesem Bereich läuft darauf hinaus, möglichst verantwortungsvoll zu handeln, sich nichts vorzuwerfen zu haben und der Gesellschaft, den Mitmenschen und der Familie gegenüber möglichst viel Gutes zu tun. Alles Gute, was man tut, alles Positive, was man gibt, kommt früher oder später als Positives zurück. (Dasselbe gilt für das Negative. Alles Schlechte, das von Ihnen ausgeht, kann sich früher oder später gegen Sie wenden. Vergessen Sie das nicht.)

Dilemma 5: Planen vs. Experimentieren
Experimente sind selbstredend notwendig. Um sie umzusetzen, ist und bleibt es aber wichtig, zu planen, zu strukturieren, zu koordinieren. Auch hier kann uns Schulz von Thuns Wertequadrat ein Hilfestellung sein. Stellen Sie sicher, dass sich in Ihren Teams die Charaktere und Kompetenzen angemessen ergänzen, so dass Sie in beiden Waagschalen genügend Gewicht haben. Wichtig wird sein, dass sich die Leute kennen und schätzen lernen. Im Beitrag «Mit Feedback Vertrauen gewinnen» gibt es dazu einige Gedankenanstöss .

Es freut mich, wenn die vier Antworten und die fünf Dilemmas Sie auf Ihrem Weg zum Erfolg begleiten.

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