Als ich vor ein paar Tagen die Videoaufzeichnung eines Vortrags des Neurobiologen Gerald Hüther sah, bekam ich eine seit Langem erwartete Antwort. Er bezog sich darin auf die Erkenntnisse in Sachen künstlicher Intelligenz, wie sie an einem Kongress in Houston (Texas, USA) vorgestellt worden waren. Die Wissenschaftler und Experten dort haben insbesondere festgestellt, dass sie «nicht mehr weiterkommen» und mit ihren Entwicklungen an Grenzen stossen. Sie nennen dies Deckeleffekt. Ihre exponentiellen Entwicklungen und Fortschritte, so wie sie sie bisher erlebt hatten, stiessen auf einmal an eine Obergrenze. Der Grund dafür ist einfach: Die Maschinen, so intelligent sie auch sind, haben keine Bedürfnisse.
Laut Professor Hüther und den Erkenntnissen der Neurowissenschaft kann sich keine Vorstellung dieser Bedürfnisse und der damit verbundenen Implikationen machen, was selbst keine Bedürfnisse hat. Entscheide fällen, Absichten hegen oder kreativ sein ist einer künstlichen Intelligenz nicht so möglich wie uns Menschen. Damit bestätigt sich, wenn es denn nötig war, dass unser Gehirn ein grossartiges Organ ist und wir Menschen allen Transformationen unseres Alltagslebens zum Trotz wichtig sind und zentral bleiben. Laut Gerald Hüther stehen wir allerdings vor der grössten Herausforderung, der sich Lebewesen je stellen mussten, um in dieser neuen, mitten in der digitalen Transformation steckenden Welt zu bestehen: Wir müssen ein neues Ordnungsund Strukturierungsprinzip finden.
Gehen wir von unserem Gehirn aus, ist das Grundprinzip einfach, es beruht auf Kohärenz (siehe dazu einen meiner ersten Beiträge zum Begriff der Wirkung): Unser als Netz strukturiertes Gehirn versucht immer, so wenig Energie einzusetzen wie nur möglich (Energiesparen, Effizienz), was eine gewisse Stabilität nach sich zieht. Immer wenn diese Kohärenz erreicht ist, werden Glückshormone freigesetzt, die wie ein Dünger für uns und unsere Entwicklung wirken. So werden in unserem Gehirn neue, effizientere Verbindungen geschaffen, weniger effiziente hingegen fallen gelassen.
Unser Gehirn entwickelt sich konstant weiter, sogar wenn wir altern. Inzwischen ist erwiesen, dass wir unser ganzes Leben lang lernen und uns entwickeln können. In diesem Zusammenhang können Sie den Beitrag «Der ‹agile› Manager» mit dem Beispiel der alten Dame lesen, die mit über 80 Jahren Tanzakrobatik macht und zum Schluss einen Spagat vorführt. Der Beitrag kommt zum Schluss auch darauf zu sprechen, dass wir nicht für ein einsames Leben gemacht sind, wir sind Gemeinschaftswesen. Prinzipien wie Familie, Stamm, Team oder soziales Netzwerk sind für unsere Entwicklung zentral: Wir entwickeln uns in der Interaktion.
Leider zieht unsere heutige Gesellschaft mit ihren Imperativen, ihren Exzessen, dem exponentiellen Gebrauch neuer Medien, den oft negativen Erfahrungen, die Junge und Ältere damit machen, eine nicht selten negative innere, individuelle Haltung nach sich, und zwar auch aufgrund überholter Bildungs- und Personalentwicklungsansätze: «Dazu habe ich nicht die geringste Lust … Ist mir egal! … Völliger Schwachsinn!»
Dies trägt zum Verlust der Arbeits- und Lernmotivation bei, aber auch zu einem Sinnverlust, also zu etwas, das einem gesellschaftlichen, persönlichen, menschlichen «Suizid» ähnelt. Wir müssen Gütern wie der Arbeit und dem Lernen wieder zu höherem Ansehen verhelfen. Das Arbeiten und das Lernen können in Kombination nämlich Begeisterung nach sich ziehen und das tief in uns verankerte Verlangen neu erwecken, etwas zu entdecken, zu verwirklichen, zu konstruieren, zu unternehmen.
Seien wir Inspirationsquelle (Leader) für unsere Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter, Kollegen und Freunde. Schaffen wir einen Rahmen, in dem sich Begeisterung entwickeln und Form annehmen kann. Ermöglichen und fördern wir positive Erfahrungen. Machen wir unseren Leuten wieder Mut (lesen Sie dazu den Beitrag «Wie lässt sich eine mutige Haltung fördern?»). Wichtig ist, dass die Menschen wieder auf positive Art emotional berührt werden. Genau dies tue ich selbst und tun wir als LP3-Coaches alle, seitdem wir damit angefangen haben. Dies ist unser Herzstück, unsere Leidenschaft, unsere Berufung. Die drei Werte der LP3 AG sind denn auch:
bewegend – einfach – kraftvoll
Damit sie diese neue Haltung entwickeln können, muss man die Leute begleiten und ihnen Begegnungen und Austausch ermöglichen. Der grösste Teil der Entwicklung geschieht im aktiven Austausch mit anderen Menschen. Präsenz, Interaktion, Dialog mit dem Gegenüber, dem Nächsten sind die Schlüssel zu dieser Arbeit an der Haltung, zu einer solchen Entwicklung. Selbstverständlich werden soziale Medien oder digitale Elemente unterstützend wirken können, natürlich geschieht ein grosser Teil dieser Arbeit auch in der Selbstreflexion, allein mit sich selbst, das Schlüsselmoment aber ist und bleibt der Austausch, die Konfrontation, das Sich-in-die-Lage-Versetzen, der Transfer in den Alltag mit den Kollegen, dem Team, den Freunden, der Familie.
Seit einigen Jahren taucht immer wieder der Begriff New Work auf. Entwickelt und auf eine philosophische Ebene gehoben hat ihn der Sozialphilosoph und Professor Frithjof Bergmann; er hat Wege hin zu diesem neuen «Glück» definiert. Dabei geht es nicht einfach um neue Arbeitsformen und -orte, sondern vielmehr um das Entwickeln einer neuen Haltung. Der Arbeit wieder Sinn geben.
Von allem Anfang an hat er immer wieder dieselbe Frage gestellt: «Was willst du wirklich, wirklich?» Er verwendet das Wort «wirklich» gerne zweimal, um die damit verbundene Dimension zu betonen. Diese Frage muss uns unser ganzes Leben lang begleiten. Das heisst, wir müssen uns selbst und das entdecken, was uns unsere innere Kraft gibt, diese Flamme, die unsere Entwicklung und unseren Erfolg antreibt.
Wenn wir schon bei den Themen Erfolg und Leistung sind: Haben Sie sich schon die folgende Frage gestellt: «Was bedeutet Erfolg für mich und was Leistung?» Muss ich immer mehr wollen? Stellen Sie sich diese Frage, diskutieren Sie sie und tauschen Sie sich mit Ihren Kollegen, Ihrem Vorgesetzten, Ihren Mitarbeitenden, Ihren Freunden und Ihrer Familie aus. Sie werden staunen, welch interessante und an Entdeckungen reiche Gespräche sie in Gang zu bringen vermag.
Wie der Philosoph Richard David Precht sagt, sind «empathische Berufe» Berufe mit Zukunft, weil Austausch, Begegnungen, ja die Menschen an sich wichtig bleiben werden. Zum Entwickeln dieser neuen Haltung, zum Herausfinden, was wir wirklich, wirklich wollen, brauchen wir Menschen, die uns begleiten, wir brauchen Netzwerke, Freunde, andere Menschen, so dass wir eine Gesellschaft bilden können, in der wir unseren Platz finden, in der man zuhört, in der einem zugehört wird und in der man sich mit einem Lächeln begegnet.
Willkommen in dieser neuen Welt, dieser Welt, die wir gemeinsam schaffen, für Sie, für uns und für unsere Kinder.