Holacracy & Co.: eine Frage von Autonomie, Teams, Zusammenarbeit und vor allem Leadership

Und schon wieder verspricht man uns eine «Wunderlösung», den Ansatz, der das Management revolutionieren wird. Nun, seit Jahrzehnten testen unterschiedliche Unternehmen und Institutionen überall auf der Welt Organisationsformen und setzen verschiedene Management- und Führungsgrundsätze um, die auf mehr oder weniger Macht, Autonomie, Verantwortungsübertragung und Zusammenarbeit beruhen.

Bei neuen Trends ist es entscheidend, genau hinzuschauen. Und aus der Geschichte zu lernen. Denn Neuerungen und innovative Ansätze vermögen die Vergangenheit und ihre positiven Seiten nicht einfach zur Seite zu schieben. Wichtig ist, jeder Erfahrung und jedem Zeitabschnitt das Beste zu entnehmen und diese Elemente gemäss den Bedürfnissen des Unternehmens, des Markts und der Individuen zu kombinieren.

Einer der zur Zeit am häufigsten erwähnte «neue» Trend nennt sich Holakratie, englisch Holacracy. Darunter wird ein auf formalisierter Umsetzung der kollektiven Intelligenz beruhendes System zur Steuerungsorganisation verstanden. Auf operativer Ebene lassen sich damit die Entscheidfindungsmechanismen auf eine fraktale Organisation selbstorganisierter Teams verteilen.

In den vergangenen Monaten habe ich zu diesen Ansätzen verschiedenste Artikel gelesen, Videos gesehen und Seminare besucht, habe mich in die theoretischen und praktischen Grundlagen des HolacracyBegründers Brian J. Robertson eingelesen und das Beispiel der niederländischen Spitex-Organisation Buurtzorg unter die Lupe genommen. Wenn wir uns umschauen und die laufenden Erfahrungen analysieren, stellen wir unschwer fest, dass der Autonomiegrad der Beteiligten, die Reife der Unternehmen, die Zusammenarbeit im Team und unter den Teams sowie eine starke Leadership zu berücksichtigen sind. Manche Unternehmen krebsen denn auch zurück, warten ab, gehen selektiv vor. Schauen wir genauer an, weshalb.

Autonomie
Autonomie ist eine Frage des Einzelnen, der Persönlichkeit. Nicht alle wollen/können autonom sein. In einer Informatikfirma mögen die meisten einen hohen Autonomiegrad wünschen, in einer Produktionsfirma hingegen wird der gewünschte Autonomiegrad bescheidener, anders ausfallen. Manche Menschen wollen keine Entscheide fällen oder sind nicht bereit, deren Konsequenzen zu tragen.

Werden Strukturen und Abläufe aufgrund kollektiver Entscheide bestimmt, verschiebt sich das zugrunde liegende Problem oft bloss, und bei Fehlern kann es zu Disengagement kommen: «Wir haben es so entschieden!» Diese Frage der persönlichen Verantwortung ist nicht zu unterschätzen.

Schliesslich haben in zwei konkreten Fällen die Verantwortlichen auf eine Art von «natürlicher» Selektion hingewiesen, wonach jene kündigen, die nicht ins neue System passen. Im einen der erwähnten Fälle ging es um rund 15 Prozent des Personals. Haben wir nicht eine gesellschaftliche Verpflichtung gegenüber unseren Mitarbeitenden? Müssten wir nicht entweder ihre Autonomie fördern oder aber den weniger Autonomen ermöglichen, zu arbeiten? Dies ist eine ethische und eine Leadership-Frage!

Reife des Unternehmens
Die erwähnten neuen Ansätze erfordern Zeit und lassen sich nicht von heute auf morgen lancieren. Sie brauchen einen Vorlauf. Sie bilden einen Weg, den es zu gehen gilt. Und für diesen Weg braucht es einen Anführer, einen Hebel. Leadership braucht es also auch da.

Die Reife eines Unternehmens hängt von seiner Vision ab, einer klaren, bekannten und geteilten Vision. Das Unternehmen muss Werte festgelegt haben, die zu dieser Vision passen. Diese Werte kommen in klar beobachtbaren Verhaltens- und Führungsgrundsätzen zum Ausdruck. Die errichteten Strukturen, Prozesse und Werkzeuge sind daran angepasst und berücksichtigen sie. Damit sind Kohärenz und Kongruenz sichergestellt. Und ein klarer Rahmen ist gegeben, in dem sich die Mitarbeitenden in grösserer Autonomie entfalten können.

Diese Reife geht Hand in Hand mit dem Vorbild der Führungskräfte und Kaderleute. Sie leben vor, was sie sagen, sie sind integer. Dies ist der wichtigste Hebel zum Implementieren einer neuen Kultur.

Gruppen (Teams) und Zusammenarbeit zwischen den Gruppen (Partner)
Auch wenn in bestimmten Unternehmen die «Funktionen» zugunsten von «Rollen» verschwinden, bleiben die Einzelnen Menschen mit ihren Emotionen, ihren Ängsten, ihren Vorlieben, ihrer Einzigartigkeit, ihren Interpretationen und ihren Erwartungen.

In einer Zeit, in der alle von Digitalisierung reden, behaupte ich denn auch zwei Dinge:

  1. Erstens, dass niemand weiss, was «Digitalisierung» für sein Unternehmen oder seine Institution auf allen ihren Ebenen wirklich heisst. Nach mehreren von mir geleiteten Direktions-Workshops sowohl bei Grossbetrieben als auch bei KMU steht jedenfalls fest, dass niemand wirklich wusste, was sie für sie wirklich bedeuten wird.
  2. Zweitens, dass n+ur jene Unternehmen künftig Erfolg haben, die auf Zusammenarbeit innerhalb der Gruppen (Teams) und der Gruppen untereinander (Partner) setzen. Die Kraft, die sich so schaffen lässt, der Zusammenhalt, die gegenseitige Unterstützung, das Vertrauen – all dies erlaubt es im entscheidenden Moment, die sich stellenden Probleme zu lösen.

Stellen Sie die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen, das Vertrauen und den Austausch ins Zentrum. Reissen Sie Zäune ein, bauen Sie Silos ab. Damit setzen Sie die Zeichen Ihres künftigen Erfolgs.

Leadership
Klar ist schliesslich, dass wir uns immer weiter von der Idee des «Chefs» entfernen und uns auf den Leader zubewegen. Selbstorganisierte Gruppen, das klingt gut, aber in welche Richtung soll die Reise gehen, wer übernimmt den Lead, wer vermittelt ihnen den geeichten Kompass oder zeigt ihnen den Weg (Vision), der sie inspiriert (Vorbild), der den Rahmen vorgibt (Werte, Regeln: Vertrauen/Kontrolle)?

Ich leite, entwickle, begleite, stimuliere, inspiriere, bewege gerne! Bloss zur Erinnerung: Leadership definiere ich so: Fähigkeit, eine Bewegung zu erzeugen («Momentum»), Menschen auf ein gemeinsames Ziel oder eine attraktive Vision hin in Bewegung zu setzen mittels eines anregenden, schöpferischen und inspirierenden Rahmens. Legitime Macht.

Ich kenne viele CEO und Unternehmensführer, die ähnliche Werte und Ideale mit mir teilen. Sie sind eine Inspirationsquelle für ihre Mitarbeitenden, die gerne Teil dieser Bewegung, dieser Geschichte, dieser Reise sind. So können wir einen präzisen, klaren Rahmen bieten, ohne eine komplexe «Verfassung» schreiben zu müssen, die kaum jemand liest. Bleiben wir einfach und stellen wir sicher, dass alle Beteiligten verstehen, damit sie mitziehen können, und dies auf allen Ebenen.

Zudem können wir über das Delegieren das Autonomiebedürfnis der Mitarbeitenden befriedigen, entsprechend ihrem Level und ihrer Bereitschaft, Verantwortung zu tragen. Das ist, was unter situativer Führung verstanden wird. Beim Delegieren müssen wir systematisch darauf bedacht sein, dass die Aspekte «Aufgabe», «Kompetenz» und «Verantwortung» kongruent sind.

Wenn es um die Anschaffung eines neuen Bürostuhls geht, müssen Sie als Direktor oder Kaderangestellter den Kaufantrag unterzeichnen? Musste das Dokument vor Ihnen schon bei anderen Personen vorbei? Oder überlassen Sie diesen Handlungsspielraum dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin, die beispielsweise für einen Betrag unter 500 Franken autonom einkaufen und entscheiden?

Sie werden feststellen, wie viel ein Detail wie dieses innerhalb eines Unternehmens ausmachen kann. Ihre Mitarbeitenden werden nicht den teuersten Stuhl nehmen, sondern den, der am besten passt. Sie werden dabei sparen und das Vertrauen innerhalb des Unternehmens stärken, aber auch das Engagement und die Identifikation Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Bereiten Sie Ihr Unternehmen auf die künftigen Herausforderungen vor, setzen Sie auf Leadership und die Zusammenarbeit unter Ihren Teams, auf die Stärke des Teams, vermitteln Sie Sinn und haben Sie Freude daran.

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