Leadership: legitime Macht

An Vorträgen, im Rahmen von Mandaten oder bei Weiterbildungen werde ich immer wieder nach meiner Haltung gegenüber neuen Organisationsformen wie Holacracy (lesen Sie dazu auch meinen Beitrag «Holacracy und Co.: Eine Frage von Autonomie, Teams, Zusammenarbeit und vor allem Leadership»), befreiten Unternehmen (liberated company) oder demokratischer Führung gefragt.

Verschiedene Unternehmen und Organisationen sind ja solchen Ansätzen gefolgt und behaupten: «Wir haben keine Chefs mehr!», «Die Macht ist dezentralisiert, demokratisiert.» oder gar «Die Mitarbeiter haben die Macht».

Es ist erst ein paar Monate her, dass bei einer Präsentation ein Teilnehmer verkündete: «Wir brauchen keine Chefs, bei uns gibt es keine Chefs mehr. Ich bin ein Mitarbeiter wie alle andern auch, ich trage keinen CEOTitel mehr.» In der Pause habe ich mir einen Moment Zeit genommen, nachzuhaken, weil mich sein Vorgehen interessierte, und hörte ihm genau zu. Als er mir das interne Entscheidungsprozedere erläutert hatte, fragte ich ihn, ob das Unternehmen eine Vision habe. Seine Antwort war unmissverständlich und kam sofort: «Ja, klar!» Wer denn die Vision entwickelt habe und wie, fragte ich daraufhin. Auch da zögerte er mit der Antwort keine Sekunde: «Ich und mein Partner, der Firmeninhaber.» Fazit: Chefs gibt es vielleicht keine mehr, Leader hingegen schon.

Erlauben Sie mir einige Gedanken zu den Begriffen «Leader» (Leadership), «Autorität/Macht» und «Legitimität»

Diese Überlegungen finden sich zum Teil in manchen meiner früheren Beiträge sowie im Buch «Leader für eine nachhaltige Wirtschaft», 2. Auflage 2018, Stämpfli Verlag, ISBN 978-3-7272-1466-0. Das Buch ist aufgrund von 25 Jahren Erfahrung mit Leadership entstanden, nicht zuletzt aus tausenden Antworten von Mitarbeitenden verschiedener Firmen unterschiedlichster Grösse und Art aus der Schweiz, Frankreich, Deutschland und England auf die Frage «Was ist ein guter Chef?». Diese Erwartungen werden in einem achtminütigen Video vorgestellt (www.lp3leadership.com).

Leader (Leadership)

Die Tendenz und die Erwartungen sind klar: Wir bewegen uns immer weiter vom Begriff des «Chefs» oder «Managers» weg, hin zum «Leader».

Die Geschwindigkeit, Komplexität und Unsicherheit unserer Welt erhöhen unsere Befürchtungen (Ängste) und unser Sicherheitsbedürfnis. Was wir brauchen, ist VERTRAUEN. Dieser Begriff ist in unseren Untersuchungen in den letzten Jahren am häufigsten aufgetaucht. Um Vertrauen zu haben, brauchen wir eine Orientierungshilfe.

Meine erste Definition von Leadership ist denn auch:

  • Leadership: «Fähigkeit, eine Bewegung zu erzeugen (‹Momentum›), Menschen auf ein gemeinsames Ziel oder eine attraktive Vision hin in Bewegung zu setzen mittels eines anregenden, schöpferischen und inspirierenden Rahmens.»

Meine zweite Definition ist noch pointierter und erfordert ein paar Ausführungen:

  • Leadership: legitime Macht

Ich bin überzeugt, dass wir immer Leader brauchen werden, ich so gut wie Sie!

Manchmal bin ich der Leader, manchmal ziehe ich mit und bin froh, einem Leader folgen zu können. Ich komme weiter unten noch auf diesen Aspekt zurück. Bleiben wir noch einen Moment bei der legitimen Macht.

Macht

Wenn ich in den Unternehmen über diesen Begriff rede und frage, womit Macht assoziiert wird, werden oft negative Beispiele genannt.

Dabei ist Macht an sich neutral. «Macht» geht auf das Verb «mögen» im Sinn von «können, vermögen» zurück (vgl. Englisch «I may» und Slawisch «ja mogu»). Negativ oder positiv daran ist, was jemand daraus macht, das heisst, wie er oder sie seine Macht einsetzt. Oft lasse ich die Fortbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer über die Machtquellen debattieren, damit sie verstehen, was Macht verleiht (Netzwerk, Kompetenz, Ressourcen, Information, Status …). Ausserdem setzt Macht mindestens zwei Personen voraus. Jemand unterzieht sich dieser Macht, folgt ihr oder akzeptiert sie, meine Macht.

Hier kommt der Begriff der Legitimität ins Spiel.

Legitimität

Wenn ich sage, Leadership sei legitime Macht, was oder besser wer verleiht mir diese Legitimität?

Früher und bisweilen heute noch verleihen Status, Stellung oder Ansehen Macht. Wie sich allerdings unschwer feststellen lässt, schwindet der Respekt vor Autoritäten (lesen Sie dazu den Beitrag «Wie verdient man sich Respekt? Als Vorbild!»). Die junge Generation braucht Sinn.
Deshalb sind es im Zusammenhang mit Leadership die andern, die Mitarbeitenden, die Legitimität verleihen. Sind sie bereit, mir zu folgen, dann tragen wir zur Performance bei. Daran ist ersichtlich, dass meine beiden Definitionen von Leadership miteinander verknüpft sind.

Was geschieht, wenn Sie diese Legitimität verlieren? Sie haben es so gut wie ich bestimmt auch schon erlebt. Man läuft in einem solchen Fall Gefahr, seine Macht auszuspielen: «Du musst es machen, weil ich dein Chef (Vater …) bin». Sind Ihnen solche Aussagen geläufig?

Leader braucht es und wird es immer brauchen

Ich war immer mit Begeisterung visionär, ergreife die Initiative, reisse Projekte an, gebe Schwung und inspiriere gerne. Ich habe mein Herzblut dafür gegeben, mein Know-how, meine Ressourcen – und meine Mitarbeitenden, Kundinnen und Partner sind mir in der Regel engagiert und enthusiastisch gefolgt. Ich habe es gewagt, heikle Entscheide zu fällen und die Konsequenzen zu tragen, ich habe meine Teams unterstützt und in Schutz genommen, ich war ihr Leader.
Im beschriebenen Kontext war also ich der Leader. Ich schuf die für das Vertrauen notwendigen Voraussetzungen, ich ging voraus und war ihr Anführer.

In einem anderen Kontext, in dem ich weder die nötige Kompetenz noch die Ressourcen hatte und für den mein Herz nicht schlug, hatten andere die Leaderfunktion – und ich war froh, auf sie zählen zu können.

Dazu ein simples Beispiel:
Am Arbeitsplatz, in meinem Bereich, bin ich der Leader. Im Dschungel aber oder im Urwald folge ich fast blindlings den Vorgaben des Überlebensspezialisten, der uns begleitet. Vielleicht ist er sogar einer meiner Mitarbeitenden – im Kontext «Dschungel» ist er der Leader und ich folge seinen Anleitungen!

Ohne Leader bin ich im Dschungel verloren, aber auch in den unterschiedlichsten Arbeitsumgebungen. Als Gegengewicht zu den Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Vertrauen wird es immer Leader brauchen, Leute, die vorangehen, den Weg zeigen, begleiten, Orientierung vermitteln, coachen, inspirieren, anstacheln.

Ich bin Leader, Sie sind Leader, wir sind alle Leader.

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